Historie/Filmhintergrund
Die ersten Filmstars – namenlose Reiter aus dem Wilden Westen
Eadweard Muybridge erstellte im 19. Jahrhundert einen der ersten US-Kurzfilme mit dem Titel „Galoppierendes Pferd“. Jordan Peele fügt diese kurze Filmaufnahme in seinen Science-Fiction-Horror-Film „Nope“ ein und deutet darauf hin, dass der Name des Reiters dieser weltberühmten Filmaufnahme nie erwähnt wurde.
M. Rösner | 1. September 2022

In „Nope“ (2022) fasziniert die Hauptdarstellerin Keke Palmers (als die Figur der Emerald Haywood) mit einer kurzen fiktiven Geschichte über ihren Vorfahren. Während des Drehs eines Werbefilms für ihre Pferderanch erzählt sie dem Filmteam, dass der erste Film, der in Amerika erstellt wurde, einen „schwarzen Mann auf einem Pferd“ zeige. Sie meint, dass die meisten den Namen kennen, der diese Bilder aufgenommen hat, nämlich der Fotograf Eadweard Muybridge. Den Namen des Reiters kennt jedoch niemand. Mit einem stolzen Lächeln fährt sie fort, dass es ihr Ur-Ur- (und noch ein Ur-) Großvater war. Diese kurze Familiengeschichte wird im Film visuell dargestellt mit einer Animation von den berühmten echten Bildaufnahmen von Eadweard Muybridges „Galoppierendes Pferd“ aus dem Jahr 1887. Auf dieser schwarz-weißen Filmaufnahme ist von der Seitenansicht ein dunkelhäutiger Reiter zu sehen, der auf einem schwarzen Rennpferd galoppiert.
Der Regisseur und Drehbuchautor Jordan Peele deutet mit dieser Geschichte darauf hin, dass die Identität des dunkelhäutigen Reiters dieser berühmten Filmaufnahme bis heute ungeklärt ist.
Allerdings handelt es sich bei den gezeigten Aufnahmen in „Nope“ nicht um den ersten Film, der in den USA erstellt wurde, sondern bereits um den zweiten. Wahrscheinlich wegen der besseren Bildqualität entschied sich Peele für die Animation aus dem Jahr 1887. Der Fotograf Eadweard Muybridge hatte bereits neun Jahre zuvor die Aufnahmen zu dem bahnbrechenden Film „Horse in Motion“ (1878) erstellt, der den Weg zum Kinofilm ebnete. Auf dieser Aufnahme ist ebenfalls ein galoppierendes Rennpferd mit einem dunkelhäutigen Reiter zu sehen.
Offizieller Trailer zu „Nope“ Universal Studios mit der Animation „Galoppierendes Pferd“ (1887)
(Mit freundlicher Genehmigung von EclairPlay/Universal Pictures)
Der Pionier des bewegten Bildes
Eadweard Muybridge (1830-1904) war nach The International Photography Hall of Fame and Museum ein englischer Fotograf, der seine Karriere im Wilden Westen begann. Berühmtheit erlangte er im Jahr 1867 durch seine Landschaftsfotografien des Yosemite Valley, dem heutigen Yosemite-Nationalpark in Kalifornien. Seine Aufnahmen faszinierten die Menschen damals, da das Trekking durch noch unbesiedeltes Land ein gefährliches Abenteuer war. Aufgrund dieser waghalsigen Aufnahmen erhielt Muybridge kurze Zeit später von der US-Regierung den Auftrag, Landschaftsfotografien des noch unbekannten und neu gegründeten US-Bundesstaates Alaska zu erstellen. Außerdem entwickelte Muybridge neue Techniken der Fotografie. So erfand er im Jahr 1869 einen der ersten Kameraverschlüsse und begann sich mit der Fotografie von Bewegungsabläufen zu befassen. Diese Arbeiten fanden jedoch zunächst ein jähes Ende, als Muybridge 1874 wegen Mordes angeklagt wurde. Er hatte den mutmaßlichen Liebhaber seiner Ehefrau erschlagen. Trotz Überführung der Tat kam er straffrei davon. Dennoch verließ Muybridge erst einmal das Land und reiste durch Südamerika. Nachdem er seine Fotos aus dem Ausland erfolgreich vermarktet hatte, kehrte er wieder in die USA zurück.
Pferdebeine schweben in der Luft
Im Jahr 1878 begann Eadweard Muybridge sich wieder der Fotografie von Bewegungsabläufen zu widmen. Im Auftrag des Politikers und Gestütsbesitzers Leland Stanford (der spätere Gründer der Stanford University), versuchte er mittels eines fotografischen Experimentes die einzelnen Bewegungsphasen eines galoppierenden Pferdes im Bild festzuhalten. Zu jener Zeit war die Mechanik der Tierbewegungen noch weitgehend unbekannt. Daher wollte sein Auftraggeber Leland Stanford wissen, ob es einen Moment während des Galoppierens gibt, in dem alle Pferdebeine in der Luft schweben. Um dies herauszufinden, stellte Muybridge auf Lelands Pferderennbahn 12 Kameras auf und spannte Kontaktdrähte, die durch die Berührung des galoppierenden Pferdes die Kameras auslösten.
Unter Anwesenheit der Presse wurde dieses fotografische Experiment mit Stanfords Rennpferd Sallie Gardner und dem dunkelhäutigen Reiter G. Domm am 19. Juli 1878 auf Stanfords Gestüt in Palo Alto, Kalifornien durchgeführt.
Auf dieser Fotoserie konnte man zum ersten Mal die Bewegungsabläufe eines Pferdes klar erkennen. Bis dahin waren Fotografien von schnellen Bewegungsabläufen meistens stark verwackelt. Durch dieses Experiment begründete Muybridge die Chronofotografie (ein Vorläufer der Hochgeschwindigkeitsfotografie). Außerdem bewies die Fotoserie Stanfords Hypothese als richtig: Alle Pferdebeine schweben während des Galoppierens in der Luft.

Vom fotografischen Experiment zum ersten bewegten Bild
Mit den bahnbrechenden Aufnahmen von schwebenden Pferdebeinen erstellte Eadweard Muybridge zwei Jahre später seine ersten bewegten Bilder. Denn beim Betrachten der Fotoserie erkannte Muybridge, dass er die Bewegungen des Pferdes reproduzieren könnte, wenn er einen Weg finden würde, sie zusammenzusetzen. Dafür entwickelte er im Jahr 1880 das Zoopraxiskop. Mit diesem Gerät konnte er die einzelnen Fotos in schneller Reihenfolge hintereinander ablaufen lassen und dadurch ein „bewegtes“ Bild entstehen lassen. Mit dieser Erfindung erschuf Muybridge den ersten US-Kurzfilm „Sallie Gardner at a Galopp“ oder, wie er heute besser bekannt ist, „The Horse in Motion“ und wurde einer der ersten Filmemacher der Welt.
Das Zoopraxiskop soll eine Hauptinspiration für das von Thomas Edison und William Kennedy Dickson entwickelte Kinetoskop gewesen sein, das zu den ersten kommerziellen Filmvorführungssystemen gehört.
Die namenlosen Reiter der ersten Filmaufnahmen
Als Muybridge im Jahr 1878 seine Fotografien zu „The Horse in Motion“ auf Leland Stanfords Gestüt aufnahm, fand der Name des Pferdes Sallie Gardner überall in den Medien und in Muybridges Aufzeichnungen Erwähnung. Der dunkelhäutige Reiter G. Domm blieb dagegen nur eine Randnotiz, wie die Bilder der Library of Congress aufzeigen.
Über G. Domm, der vermutlich das Pferd Sallie Gardner für das Experiment dressierte, gibt es keine historischen Belege zu seinem vollständigen Namen oder über sein Leben. Die Identität des dunkelhäutigen Reiters in der Filmanimation „Galoppierendes Pferd“ aus dem Jahr 1887, die Peele in seinem Film „Nope“ verwendet, ist sogar völlig unbekannt. Eine Erklärung, warum Eadweard Muybridge die Männer nie erwähnte, ist in seinen Forschungsarbeiten zu finden, wie die New York Times berichtet.
Nach seinen bahnbrechenden Erfindungen zur Technik der Chronofotografie und dem Zoopraxiskop, konnte Muybridge an der University of Pennsylvania seine fotografischen Bewegungsstudien fortführen. Während der Zeit an der Universität fotografierte Muybridge eine Vielzahl von Tieren sowie Frauen und Männer in allen Formen und Größen, einzig für seine Studien die Bewegungen der Körper in Bildern festzuhalten.
Menschliche Modelle bekamen nur Nummern
Nach jahrelangen Forschungsarbeiten hatte Muybridge die Technik der Chronofotografie perfektioniert, sodass die Bilder die zur Filmanimation „Galoppierendes Pferd“ (1887) führten, die auch unter dem Namen „Plate 626“ bekannt sind, von viel besserer Qualität sind. Das der dunkelhäutige Reiter auf der Fotoserie „Plate 626“ namenlos blieb, ist typisch für Muybridges Arbeitsweise. Während Muybridge die Namen aller Tiere auf seinen Fotografien angab, identifizierte er seine menschlichen Modelle im Allgemeinen nur mit einer Nummer.
Zwar bleiben die ersten Filmstars namentlich unbekannt und es ist kaum etwas über ihr Leben und Schaffen vermerkt, aber Peeles neuester Film versucht zumindest, mit der fiktiven Geschichte der Pferdetrainerfamilie Haywood die vom realen Reiter in „The Horse in Motion“ abstammen sollen, ihnen wieder ein wenig Aufmerksamkeit zu geben.