Portrait

Louise Detlefsen: Eine intuitive Dokumentarfilmerin

Louise Detlefsen ist seit fast 20 Jahren Regisseurin von Dokumentarfilmen. Über ihren aktuellen Film „Mitgefühl – Pflege neu denken“ wurde in den Gesundheitsmedien viel berichtet. Doch wer ist die Regisseurin, die eine lebensbejahende Dokumentation über eine Krankheit wie Demenz dreht?

M. Rösner | 19. Juli 2022

Screenshot vom LRM YouTube-Video: „Louise Detlefsen and May Bjerre Eiby Interview for It Is Not Over Yet“. Louise Detlefsen (unten) und May Bjerre Eiby im Interview mit Gig Patta. Klicke aufs Bild, um zum YouTube-Video zu gelangen. (Screenshot mit freundlicher Genehmigung von LRM online)

Louise Detlefsen beantwortet die Interviewfragen im YouTube-Video von LRM online über ihren neusten Film „Mitgefühl – Pflege neu denken“ sehr souverän. Ihr Interviewer ist der Journalist Gig Patta. Sie führen das Interview im Homeoffice über eine Videoschalte. Mit dabei ist May Bjerre Eiby, die Gründerin von Dagmarsminde, dem Pflegeheim worüber der Dokumentarfilm berichtet. Auch wenn Luise Detlefsen nur in einem kleinen Ausschnitt auf dem Monitor zu sehen ist, fallen sofort ihre großen, freundlichen Augen auf, die neugierig in die Kamera blicken. Als der Journalist Patta fragt, wie sie auf die Idee gekommen ist, über Dagmarsminde einen Film zu drehen, erzählt Detlefsen, dass sie vor ein paar Jahren Eiby im Radiointerview sehr optimistisch über Menschen mit Demenz sprechen hörte. Sie erfuhr, dass Menschen trotz schwerer Demenz mit einer richtigen Behandlung ein lustiges und glückliches Leben haben können. Detlefsen fand diese Einstellung so interessant, dass sie Eiby anrief und fragte, ob sie darüber berichten könnte.

Ein Film über glückliche Menschen mit schwerer Demenz

Der Ausgangspunkt des Dokumentarfilms „Mitgefühl – Pflege neu denken“ ist das von Eiby und ihren Mitarbeitern neu entwickelte Pflegekonzept „Mitgefühl und Umsorgung“. Bei diesem ganzheitlichen Pflegeansatz werden Medikamente durch ein menschliches Miteinander ersetzt und den Bewohnern mit Demenz dadurch ein glückliches Leben ermöglicht. Da die Zahl der Menschen, die an einer Demenz erkranken, weltweit immer weiter ansteigt und bezahlbare Konzepte für eine würdevolle Pflege mit dieser Patientengruppe kaum vorhanden sind, wundert es nicht, dass viele Gesundheitsmedien über diese Dokumentation berichteten. International war der Film 2021 beim kanadischen Hot Docs Festival in Toronto vertreten. In Deutschland lief er im September 2021 in den Kinos an.

Während der Promotiontour gab Detlefsen einige Hintergründe zum Film bekannt. So musste sie bei ihrem ersten Treffen mit dem Pflegepersonal und den Bewohnern in Dagmarsminde feststellen, dass jeder Bewohner auf eine andere Art und Weise von Demenz betroffen ist. Daraufhin beschloss sie in ihrem Film unterschiedlichen Charakteren bzw. Bewohnern zu folgen, um individuell darzustellen, wie es ist mit dieser Erkrankung zu leben. Das Einverständnis über die Heimbewohner zu Drehen holte sich Detlefsen persönlich bei jedem Verwandten ein. Mit Eiby und ihren Mitarbeiterinnen traf sie die Vereinbarung, dass die Pflegekräfte das Filmteam jederzeit stoppen konnten, falls sich ein Bewohner nicht wohl fühlte.

Als Detlefsen mitten in den Dreharbeiten war, brach die Coronapandemie aus. Sie musste mit ihrem Filmteam fünf Wochen mit dem Drehen pausieren. Da sie schon so lange gedreht hatte, ließ Eiby sie und ihr Team in den folgenden Monaten unter den gleichen Bedingungen wie das Pflegepersonal in Dagmarsminde weiterarbeiten.

Szene aus „Mitgefühl – Pflege neu denken“. (Foto: EclairPlay)

„Mein Leben bestand immer nur aus Frauen“

Louise Detlefsen wurde 1971 geboren. Über ihre Kindheit sagte sie gegenüber dem Filmmaker Magazin, dass sich ihre Eltern scheiden ließen, als sie sechs Jahre alt war und sie dadurch den Kontakt zu ihrem Vater verlor. „Ich wuchs mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester auf und verbrachte meine Ferien mit der Schwester meiner Mutter und ihrer Tochter. Mein Leben bestand immer nur aus Frauen und sehr wenigen Männern. Daher fühlt es sich für mich normal an, mit Frauen zu arbeiten. Ich interessiere mich einfach oft mehr für weibliche Geschichten als für Geschichten über Männer.“

Im Jahr 1996 absolvierte Detlefsen ihr Studium als Journalistin an der dänischen Journalistenschule. Ein Jahr später veröffentlichte sie ihr erstes Buch, eine Biografie über die Politikerin Ritt Bjerregaard. Seit 2003 arbeitet sie als Filmregisseurin und Drehbuchautorin, hauptsächlich für Dokumentarfilme. Ihre erste Regiearbeit führte sie zusammen mit Louise Unmack Kjeldsen aus. Seitdem sind sie befreundet und arbeiten oft zusammen für Filmprojekte. Louise Detlefsen lebt mit ihrer Familie in Dänemark in der Nähe von Kopenhagen.

Louise Detlefsen (Foto: EclairPlay)

Mit Frauensolidarität zum Erfolg

Während der ersten Jahre ihres Dokumentarfilmlebens hat Detlefsen oft mit unterschiedlichen Regisseurinnen zusammengearbeitet, wie sie gegenüber Woman & Hollywood erzählte. Dabei unterstützten sich die Frauen gegenseitig, bei Projektentwicklungen oder gemeinsamen Castings. So gelang es ihr auch Familieund Beruf zu vereinbaren.

Während der Arbeit an einer Dokumentarserie musste sie wegen Mutterschaftsurlaub pausieren. Eine Kollegin bearbeitete in dem Zeitraum ihre Serie weiter. Ein Jahr später war es umgekehrt, als die Kollegin schwanger wurde, half Detlefsen ihr aus. Für Detlefsen ist es selbstverständlich, wie sie in dem Interview sagte, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen. Dieses solidarische Miteinander spiegelt sich auch in ihrer Arbeit wider: „Ich bin von Geschichten über Menschen angezogen, die in irgendeiner Weise in einer verletzlichen Position sind.“ Weiter führt sie aus: „Als Dokumentarfilmerin ist es wichtig, ihnen eine Stimme zu geben.“

Trotz aller Offenheit war auch Detlefsen nicht immer vorurteilsfrei. Zusammen mit ihrer Freundin und Co-Regisseurin Louise Unmack Kjeldsen drehte sie den Film „Fat Front“ (2019). Ein Film über dicke Body-Positiv-Aktivistinnen. Kjeldsen erzählte über sich und Detlefsen im Interview mit dem Frontrunner Magazin, dass beide schon immer sehr auf ihr Gewicht geachtet haben. Während des Drehens wurde ihnen die eigene Fettphobie bewusst: „Wir dachten, wir wären so offene, tolerante Menschen, aber im Schneideraum, als wir die dicken Körper betrachteten spürten wir wirklich, wie wir [Jahrelang durch die Medien] einer Gehirnwäsche unterzogen wurden.“ Die Ansichten der beiden haben sich durch die Arbeit an dem Film komplett geändert. Heute sind ihre Instagram-Feeds voll von Menschen mit dicken Körpern.

Der Intuition Vertrauen

Luise Detlefsen erzählte im Interview mit Woman & Hollywood, dass sie von Natur aus unruhig und „immer auf dem Weg zur nächsten Sache“ sei. Trotzdem hängt über ihrem Schreibtisch eine Postkarte auf der steht: „If you never try, you will never know“ (dt.: Wenn du es nie versuchst, wirst du es nie erfahren). Dieser Spruch ist, wie sie selbst sagt: „Eine Erinnerung daran, nicht herumzusitzen, zu warten und Dinge zu überdenken, sondern auf meine Ideen und meine Intuition zu reagieren. Hinauszugehen und Dinge auszuprobieren.“ Das sei für sie die beste Art zu arbeiten.

Auf die Interviewfrage, welchen Tipp sie für zukünftige Regisseurinnen und Regisseure hat, antwortete sie: „Tu es einfach. Es klingt banal und irritierend, aber ich habe das Gefühl, dass wir oft selbst die schlechtesten Kritiker sind. Und der erste Schritt ist immer der schwerste. Daher muss man sich aus seiner Komfortzone herausbewegen.“

Von der Teenagerliebe zu glücklichen Heimbewohnern mit Demenz

Louise Detlefsen produzierte als Dokumentarfilmerin 19 Filme und Serien. Den Anfang machte „From Barbie to Babe“ (2003), eine Dokumentation, die vom Übergang vom Mädchen zum Teenager und der ersten großen Liebe erzählt. Für „Lovebirds“ (2014), ein Dokumentarfilm über das Liebesleben von drei jungen Freundinnen in Kopenhagen, gewann sie den Bent Award 2014. Der Preis wird vom Mix Copenhagen – LesbianGayBiTrans Film Festival vergeben an Filme die glaubwürdig schwule, bisexuelle oder transsexuelle Charaktere zeigen. Im Jahr 2018 veröffentlichte sie die Dokumentation „The Queen of Hearts“ (2018). Der Film handelt über Lizette Risgaards Aufstieg zur Macht. Sie ist die erste Frau an der Spitze des dänischen Gewerkschaftsbundes „LO“. Ihr Aufstieg war von Machtkämpfen und männlichen Chauvinismus geprägt. Ein Jahr später erschien der Film „Fat Front“ (2019). Er dokumentiert das Leben über Body-Positivity-Aktivistinnen und wurde auf dem Dokumentarfilmfestival IDFA in Amsterdam gezeigt. Auch „Mitgefühl – Pflege neu denken“ war im Jahr 2021 ein Filmbeitrag beim kanadischen Hot Docs Festival in Toronto.

Den Moment spüren und wahrnehmen

Wenn Luise Detlefsen eine Interviewfrage beantwortet, gestikuliert sie dabei gerne unterstützend mit ihren Armen. Wie auch bei der Abschlussfrage im YouTube Video von LRM online. Der Journalist Patta fragt Detlefsen und Eiby, welches die wichtigste Aussage der Dokumentation „Mitgefühl – Pflege neu denken“ ist. Lächelnd übernimmt die medienerfahrene Detlefsen, die im Interview ihre langen dunkelbraunen Haare offen trägt und leger gekleidet ist, zuerst das Wort: „Den jetzigen Moment spüren und ihn wahrnehmen. Der Natur nahe zu sein und sich bewusst machen, wie einfach das Leben ist. Aber auch anderen Menschen nahe zu sein. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, zur Familie und zu anderen Menschen ist sehr bedeutungsvoll. Als Zuschauer kann man dies auf sein eignes leben reflektieren.“ Der Film ist über Demenz, gibt Detlefsen zu bedenken, aber die Aussagen des Films sind viel mehr universell.